Narzissens Tod

»Es ist eine eigenartige Sache mit der Liebe«, sagte Narziss, indem er das göttliche Wasser der vor ihm liegenden Quelle betrachtete. Ein Hall drang an sein Ohr und er meinte sich selbst zu hören. Doch achtete er dessen nicht.

 

Verzückt sprach er weiter zu sich selbst: »Ja, ihre Pfeile treffen uns und wir meinen glücklich zu sein. – Dann aber verlieren wir uns in ihr und gehen mit ihr unter!«

 

Wieder meinte er seine Stimme zu vernehmen, als er sagte:

 

»Oh, was bist du schön, du holdes Wesen!

In dir steckt Liebe, in dir steckt Tod!

Wie gern würd’ ich dich greifen, fassen,

doch immer, wenn ich die Hand dir reich’,

dich spüren möcht’ und nicht mehr lassen,

verschwindest du – Najaden gleich,

in dem unterirdisch’ feuchten Reich.

 

Oh, weh mir, dass ich dich nicht kann erreichen!

Muss ich vor Sehnsucht nun vergeh’n?

Du sollst mir jetzt nicht mehr entweichen,

will Tag und Nacht nur dich noch sehn.«

 

»Woher hör’ ich meine Stimme?

Kommt sie wohl aus diesen Tiefen?

Die Glut entflammt in meiner Brust,

was möcht’ ich lieben! Begehr’ die Lust!

 

Deine Schönheit lockt mich sehr,

lockt mich hinab

ins feuchte Grab!

Du bist es, den ich begehr’!

Spring schnell ich froh hinein,

Will sie fassen,

nicht verpassen,

nie mehr lassen!«

 

Er sprang in die Quelle, sein Bildnis ergreifend. Die Erkenntnis durchzuckte seine Adern, seine Stimme war die Stimme des Geliebten. Sie erklang, doch wies er sie von sich; verfiel dem Wahnsinn, das Bild mit ihm. Verhallend verklang Echo im Tode des Jünglings, der mit sich das Begehrte im Quell ertränkte.

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